Perspektivenwechsel als Methode

Perspektivenwechsel als Methode

Interview


Zuversicht statt Verharren in Angst, Offenheit für Neues statt der Suche nach Schuldigen und Solidarität statt dem Verbreiten von Verschwörungsmythen – in einem Interview zur aktuellen Situation erklärt Psychologe Klaus Vollmer, wie ein guter Umgang mit den Folgen der Corona-Krise gelingen kann. Mit seinen Empfehlungen stützt er sich auf die von ihm entwickelten Methode des Perspektivenwechsels. Sie ist eine Einladung an jeden, durch das bewusste Wechseln der Blickrichtung festgefahrene Erwartungen loszulassen und zu Lösungen zu finden. Konkret für das Leben mit Corona bedeutet das, sich auf die positiven Entwicklungen innerhalb der Krise zu fokussieren und so die eigene Lebenszufriedenheit zu steigern.

Ulla Müller: Herr Vollmer, Ihr Buch "Perspektivenwechsel als Methode" zeigt, wie effektiv uns mentale Flexibilität weiterbringen kann. Ist ihre Methode in Corona-Zeiten direkt anwendbar?

Klaus Vollmer: Gerade jetzt ist sie besonders wichtig! Die durch Covid 19 ausgelöste Situation ist durch keinen von uns beeinflussbar. Aber was wir beeinflussen können ist, wie wir persönlich mit dieser Situation umgehen. Geben wir uns der nachvollziehbaren Sorge und Angst hin, in dem wir uns auf die negativen Schlagzeilen und Bilder konzentrieren oder sagen wir bewusst STOPP – Wechsel der Perspektive und schauen auf das, was wir in den letzten Monaten geschafft und erreicht haben. Der Blick hierauf zeigt auch sehr Erfreuliches: eine ungeahnte Solidarität und Hilfsbereitschaft unter den Menschen, eine bisher nicht dagewesene Flexibilität von Unternehmen im Umgang mit dem Homeoffice und durch gelebte Selbstverantwortung und Verantwortung für Andere eine positive Entwicklung der Infektionszahlen.

Wir haben die Wahl, welche Perspektive wir einnehmen, worauf wir schauen. Mit dieser Wahl entscheiden wir uns für Angst oder Zuversicht. Es geht keineswegs darum, eine rosarote Brille aufzusetzen oder vor Krankheit und existenziellen Sorgen die Augen zu verschließen. Es geht darum, gezielt die Möglichkeiten des Perspektivenwechsels zu nutzen, um uns selbst wieder in einen kraftvollen Zustand zu bringen, um neue Möglichkeiten und Lösungen für uns und andere zu sehen.

Ulla Müller: Was hat sich für Sie persönlich in Ihrem Arbeits-Alltag während der Corona-Krise verändert?

Klaus Vollmer: In den ersten Wochen sind annähernd einhundert Prozent meiner Termine und Aufträge abgesagt oder verschoben worden. Ein recht voller Terminkalender war plötzlich blitzblank. Natürlich war ich ratlos, wie es weitergeht. Dass sich der Zustand für Veranstaltungen mit Gruppen oder Teams nicht so schnell ändern würde, war schnell klar. Glücklicherweise habe ich einen recht hohen Anteil Coachings mit Einzelpersonen. Also habe ich mich daran begeben, mich in die entsprechenden Programme einzuarbeiten, um über das Internet Coachings durchzuführen. Meine junge Mitarbeiterin hat mich dabei - natürlich mit dem notwendigen Abstand - geduldig unterstützt und mich mit der Technik vertraut gemacht.

Es gab aber auch Kunden, die auf mein Angebot zum Online-Coaching überhaupt nicht eingehen wollten, die die Nase voll hatten von Headsets und Videokonferenzen und nichts lieber wollten als einen Termin vor Ort bei mir. Hierfür habe ich dann die notwendigen Voraussetzungen geschaffen und dann mit Abstand und nach den geltenden Hygienevorschriften das Coaching durchgeführt.

Für das zweite Halbjahr sind nun auch wieder Veranstaltungen mit mehreren Teilnehmern geplant; ich freue mich sehr darauf und hoffe, dass es klappt. Trotz all der technischen Möglichkeiten bin ich doch eher der Coach und Berater, der dem persönlichen Kontakt - wo eben möglich - den Vorzug gibt.

Ulla Müller: Vielfältige Teams mit diversen Sichtweisen gelten im beruflichen Umfeld als Stärke. In Ihrem Buch weiten Sie den Ansatz auf alle Situationen aus, in denen Menschen zusammenkommen. Kann diese Strategie aktuell Lösungen bieten?

Klaus Vollmer: Auf jeden Fall. Aber lassen Sie mich vorweg eine Einschränkung machen. Nicht per se in allen Situationen sind vielfältige Teams gegenüber Einzelpersonen oder homogenen Gruppen gegenüber immer im Vorteil. Das wäre eine unzulässige Vereinfachung. Wenn es jedoch um komplexe Herausforderungen geht und die Beteiligten ihre Unterschiedlichkeit akzeptieren und anerkennen, dann sind vielfältige Teams eindeutig im Vorteil.

Auch hierfür ist die aktuelle Situation aus meiner Sicht ein gutes Beispiel. Dass wir in Deutschland mit den Auswirkungen der Pandemie im Vergleich zu vielen anderen Ländern so glimpflich davon gekommen sind, liegt mit daran, dass nicht eine einzelne Person, die nur ihren eigenen Überzeugungen folgt und meint, sie wüsste alleine was richtig ist, entscheidet. Wir haben in den letzten Monaten eine Zusammenarbeit über die politischen Parteigrenzen hinweg erlebt, wie selten zuvor. Und die Politik hat sich mit Wissenschaftlern, Forschern, Vertretern aus Bildung und Wirtschaft und anderen Fachleuten ausgetauscht. Es sind somit unterschiedlichste Sichtweisen und Erfahrungen zusammengekommen, um ausgewogen zu entscheiden. Dass dabei nicht immer alles ganz rund läuft, steht außer Frage, aber unter dem Strich, meine ich, können wir sehr zufrieden sein.

Ulla Müller: Würden Sie die zentralen Ziele Ihres Konzeptes – Erfolg und persönliche Weiterentwicklung für ein gutes Leben – heute, wo viele um die nackte Existenz kämpfen, anders gewichten?

Klaus Vollmer: Die zentralen Ziele meines Konzeptes sind persönliche Lebenszufriedenheit, die eigenen Möglichkeiten und Potentiale auszuschöpfen und dort - wo eben möglich - als Regisseur meines Lebens, selbst die Verantwortung zu übernehmen. Daran hat sich durch die derzeitige Situation nichts geändert. Sie macht vielmehr deutlich, wie wichtig es ist, sich schnell auf neue Situationen und Gegebenheiten einstellen zu können, Vertrautes aufzugeben und sich neuen Perspektiven und Möglichkeiten zuzuwenden.

Ulla Müller: Was betrachten Sie als essentielle Einstellung und Strategie, um durch die Corona-Krise zu kommen? Was wäre kontraproduktiv?

Klaus Vollmer: Essentiell sind für mich in dieser Situation: Zuversicht, Offenheit für Neues und Solidarität.

Als kontraproduktiv betrachte ich: Verharren in Angst und Sorge, die Suche nach Schuldigen und das Verbreiten von Verschwörungsmythen.

Ulla Müller: Während ein unterstützendes Miteinander gerade erstaunlich gut funktioniert, müssen wir Kontrollverlust hinnehmen. Wie bewerten Sie diese Beobachtung bzw. Herausforderung?

Klaus Vollmer: Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Gefühl, Kontrolle über sein eigenes Leben zu haben, einen entscheidenden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat. Die Fülle von Einschränkungen, die wir im Moment erleben, birgt damit die Gefahr, dass sich die Zufriedenheit mit dem eigenen Leben verringert. Aber das muss nicht zwangsläufig so sein. Auch hier kommt es darauf an, wie wir die Situation bewerten und das haben wir selbst in der Hand. Die Einsicht, dass es keine willkürlichen Verbote sind, die uns das Leben versauern und schwer machen sollen, sondern dringende Empfehlungen auf der Basis derzeitiger wissenschaftlicher Erkenntnisse, die zu unserem eigenen Schutz und dem gefährdeter Personen ausgesprochen werden, lassen es uns wesentlich besser ertragen. Wenn wir die Empfehlungen als Fürsorge anstatt als einschränkende Regeln wahrnehmen, geht es uns viel besser damit – auch wenn dies manch einem zu weit geht.

Ulla Müller: Was, glauben Sie, werden Psychologen und Soziologen in fünfzig Jahren über die Corona-Krise des Jahres 2020 schreiben?

Klaus Vollmer: Offen gesagt: Ich bin mir nicht sicher. Fünfzig Jahre sind eine enorm lange Zeit und vieles wird davon abhängen, was die nächsten Wochen, Monate und vielleicht sogar Jahre mit sich bringen.

Mein Optimismus wird auch etwas dadurch gebremst, dass wir zu oft in der Geschichte der Menschheit, aber auch jeder für sich in seiner persönlichen Lebensgeschichte, die Erfahrung gemacht haben, dass wir schnell wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen.

Gleichwohl ist meine große Hoffnung, dass wir in der Tat aus der Krise nachhaltig lernen und wichtige Erkenntnisse mitnehmen. Spontan fällt mir ein:

  • Dass wir uns aufeinander verlassen können, wenn es darauf ankommt
  • Dass wir bei politischen Entscheidungen die Wissenschaft mehr beteiligen
  • Dass wenig beachteten Berufsgruppen die ihnen zustehende Wertschätzung entgegengebracht wird
  • Dass die Digitalisierung den notwendigen Schub bekommt

Zusammengefasst wünsche ich mir, dass man in fünfzig Jahren titelt: „Chance genutzt“ – doch daran müssen wir arbeiten.

© PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft

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"Perspektivenwechsel als Methode: Strategien, Tools und Übungen zur Persönlichkeitsentwicklung",
Beltz Verlag, Weinheim 2019,
273 Seiten, 34,95 Euro

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